Geschichte Woche 23
Nach Lukas 7,11-17
Es war wieder einer dieser anstrengenden Tage, wo man nicht wusste, wo einem der Kopf stand. Wie jeden Tag waren wir schon seit dem frühen Morgen unterwegs, Jesus, seine Jünger und meine Wenigkeit. Wo ich das jetzt gerade so sage, fällt mir ein Spruch ein: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Nun, Jesus hatte mich wirklich gefangen, hihi. Ich versuchte nicht einmal mir vorzustellen, von ihm wegzugehen und meine Tage wieder in Ruhe und Frieden verleben zu können. Nein, das war mir nicht wichtig. Von dem Tag an, wo ich Jesus dort in der Krippe zum allerersten Mal begegnet war, ihn hab liegen sehen und verstanden hatte, dass hier jemand ganz besonderes vor mir lag, wollte ich nicht eine Sekunde verpassen von Jesu Erlebnissen.
Also sollte ich wohl aufhören zu klagen, oder? Schließlich hatte ich das alles so gewollt. Nun gut, Schluss mit dem Gejammere. Wir befanden uns also auf der Reise in eine Stadt mit Namen Nain. Sie lag südöstlich von Nazareth. Vielleicht erinnerst du dich noch, wer aus dieser Stadt Nazareth kam? Na, bist du auf Maria und Josef gekommen, Jesu irdische Eltern?
Wir begaben uns nun also in das kleine Städtchen und näherten uns langsam den Stadttoren. Das uns dabei auch dieses Mal viele, viele Menschen auf Schritt und Tritt folgten, muss hier wohl nicht mehr erwähnt werden, denn das war ja nun schon jeden Tag so.
Als wir uns nun vor den Toren der Stadt befanden, kamen uns eine große Volksmenge entgegen. Voran gingen vier Männer, die eine Bahre trugen. Ein junger Mann, er war noch nicht sehr alt, lag dort darauf; die Augen geschlossen und die Hände gefaltet auf dem Brustkorb. Ich erschrak. Dieser Mann war tot. Er lebte nicht mehr und die Menschen, die ihm folgten, waren Trauernde. Sie klagten, weinten und klopften sich herzzerreißend schluchzend auf die Brust. Hinter den vier Trägern ging eine Frau. Ihr Rücken war von Kummer gebeugt und der innere Schmerz in ihrem Gesicht klar zu erkennen. Das musste wohl die Mutter sein. Zumindest schloss ich das außer ihrer Haltung und ihrer tiefen Traurigkeit.
Je näher die Menschen uns kamen, umso mehr konnte ich das Gerede der Leute hören. Sie versuchten, es zu verstecken, aber ich nahm ihre Stimmen trotzdem wahr.
„Die Ärmste“, begann eine der jüngeren Frauen. „Erst verliert sie ihren Mann und jetzt auch noch das.“
„Ja“,stimmte eine ältere Frau zu, „das ihr einziger Sohn auch noch stirbt, ist ein wirklicher Schicksalsschlag. Sie tut mir so leid.“
Die Frauen um sie herum nickten mit den Köpfen und schauten mitleidig zu der Frau, die direkt hinter der Bahre mit den vier Trägern ging. Mir tat die Frau ebenso leid. Sie war nun ganz allein auf der Welt. Eine Witwe zu sein, also den Mann zu verlieren, war ja schon schwer genug. Aber wenn dann auch noch das einzige Kind starb, dann tat es noch mehr weh.
Ich sah in die Gesichter der Menschen um mich herum. Die einen sahen gelangweilt aus, als wünschten sie, der Trauerzug zöge endlich vorbei. Wieder andere litten mit der Frau mit,. Vermutlich kannten sie selbst diesen Schmerz. Und die übrigen sahen gespannt zu Jesus, was er wohl dachte, sagte oder tat. Nun, das wüsste ich auch gar zu gern. Mein Blick wanderte zu Jesus hinüber und ich konnte darin tiefes Mitleid entdecken. Ja, so war Jesus. Ihm war nicht egal, wie es den Menschen ging. Er nahm ihre Freude oder ihre Traurigkeit, ihren Schmerz oder ihren Jubel wahr. So auch bei dieser Frau. Ihr Kummer tat ihm in seinem Herzen weh. Als sie an uns vorbei ging, sagte er zutiefst berührt:
„Weine nicht.“
Die Frau sah ihn gequält an und versuchte ein Lächeln, dass allerdings wenig Ähnlichkeit damit hatte. Neue Tränen kullerten die Wangen hinab. Jesus wandte sich nun dem Toten zu und berührte die Bahre. Ja, was machte Jesus denn schon wieder? Auch das machte ihn doch unrein vor dem Gesetz der Israeliten. Aber da fiel es mir wieder ein. Kopfschüttelnd schlug ich meine Hand an den Kopf. Ich Dummkopf. Jesus konnte ja die Verunreinigung nichts anhaben. So oft schon hatte er Unreinen und Befleckten geholfen, sie berührt und nie hatte es seine Beziehung zu Gott gestört. Er war Gottes Sohn und besaß dadurch die Macht, den Tod zu vertreiben, der solch eine Verunreinigung hervorgerufen hätte.
Die Träger der Bahre mit dem Sarg standen sofort still und beobachteten genau, was Jesus tat. Er berührte den Sarg und sagte dann in Ruhe und mit einer unendlichen Gelassenheit:
„Junger Mann, ich sage dir: Steh auf.“
Wow, Jesus war echt erstaunlich. Da sagte er einen Befehl und was geschah? Genau das, was Jesus gerade gesagt hatte. Der junge Mann in dem Sarg erhob sich, eilte zu seiner Mutter und redete beruhigend mit ihr. Vor Schreck wäre ich beinahe von meinem perfekten Aussichtspunkt gefallen. Ich quietschte laut auf und klammerte mich schnell wieder am Obergewand meines Sitzplatzes fest, um nicht zu Boden zu fallen. Man, man, man, das Jesus mich aber auch immer wieder so erschrecken musste.
Die Witwe konnte ihr Glück kaum fassen und starrte zwischen Jesus und ihrem Sohn hin und her. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ehrlich gesagt, mir wäre es nicht anders ergangen. Da blieb einem nichts anderes übrig als zu Staunen und zu Bewundern. Worte hätten die Freude im Herzen sowieso nicht genügend beschreiben können.
Die vielen Menschen aber, die Jesus begleitet hatten und die, welche dem Sarg gefolgt waren, erschraken innerlich. Ein tiefe Ehrfurcht und ein nie gekannter Respekt erfüllte die Menschen, sodass sie zu einander sagten:
„Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden.“
Und wieder verbreitete sich das Wunder des jungen Mannes in Windeseile