Geschichte Woche 20
Nach Lukas 5,17-26
Letzte Woche sind wir ja auf dem See Genezareth nach Kapernaum geschipppert. Kaum hatten wir angelegt, musste ich an ein Ereignis denken, dass schon vor einiger Zeit genau in dieser Stadt passierte. Damit ich es nicht wieder vergesse, berichte ich dir heute davon, denn das ist ein echt tolles Erlebnis.
Also, das war so. Wie du ja nun schon weißt, hatte Jesus durch seine Heilungen Berühmtheit erlangt. Und an diesem einen Tag hielt Jesus sich in einem ganz normalen Wohnhaus auf. Du musst wissen, die Häuser dort waren Flachbauten, das heißt, sie hatten kein spitzes Dach, so wie unsere Häuser, sondern waren eher wie Würfel oder Rechtecke gebaut. Oben auf dem Dach befand sich meist sogar noch Nutzfläche, sodass es eigentlich zum Wohnraum dazu gehörte. Viele Räume gab es damals auch nicht. In den meisten Häusern war ein großer und ein kleinerer Raum. Der kleinere diente als Vorratskammer. Die Betten waren nicht aus Holz, sondern Matten, die sich einfach zusammenrollen ließen. So hatte man auch am Tag mehr Platz.
Innerhalb kürzester Zeit hatte sich dieses Haus komplett gefüllt. Ich kann dir sagen, die Menschen drängelten sich aneinander wie Fische im Netz. Nicht ein Blatt passte mehr dazwischen. Jeder wollte etwas von Jesus sehen oder hören. Je mehr Menschen sich in das Haus hinein zwängten, um so panischer wurde ich. Nein, zerquetscht werden wollte ich definitv nicht. Besser, ich brachte mich in Sicherheit. Vorsichtig hüpfte ich von Person zu Person Richtung Eingangstür. Draußen war ich am sichersten, keine Frage. Zumindest dachte ich das. Doch ein Blick hinaus verriet mir, dass ich mich täuschte. Vor der Tür standen mindestens genauso viele Menschen wie drinnen und auch hier dicht an dicht. Schnell überlegte ich: Wo könnte ich jetzt nur hin? Hastig sah ich mich um. Links und rechts vom Haus war kein Durchkommen. Da würde es mir kaum besser ergehen. Aber wie wäre es mit dem Dach? Da oben ging bestimmt niemand hin, denn Jesus sehen war da unmöglich. Und ihn zu hören war auch schwierig, dafür waren die Geräusche rundherum einfach zu präsent. Ja, das Dach war ein guter Plan.
Rasch bewegte ich mich zur Außentreppe, die auf das Dach hinauf führte und suchte mir oben angelangt ein schattiges Plätzchen, auf dem es sich den Rest des Tages gut aushalten ließ. Wohlig seufzend legte ich mich an die Wand und schloss meine Augen, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Hach, hier ließ es sich doch wunderbar ausruhen. Nichts konnte mich mehr stören. Niemand würde mich stoßen oder zerquetschen. Einfach himmlisch hier oben.
Während ich da oben so lag, bemerkte ich nach einer Weile jedoch aufgeregte Stimmen, die sich näherten und Stück für Stück lauter wurden. Ich erhob meinen Kopf ein wenig und lauschte.
„Kommt, noch ein Stück. Wir sind gleich da.“, hörte ich eine älteren Mann motivieren. Aha, die wollten wohl auch noch zu Jesus. Naja, sollten sie mal machen. Ich lehnte mich wieder zurück, aber die Stimmen hörten nicht auf, miteinander zu reden. Es schienen mindestens vier Männer zu sein, die zu spät aufkreuzten.
„Meine Arme tun mir schon so weh. Lasst uns einen Moment ausruhen.“, jammerte einer.
„Wir sind gleich da, dann kannst du dich ausruhen“,erwiderte der erste.
„Aber, sieh doch“, mischte sich eine dritte Stimme ein, „es ist zwecklos. Es stehen so viele Menschen vor der Tür. Da kommen wir niemals durch.“
„Das wird schon werden. Wir fragen uns einfach durch.“, ermutigte ein vierter die Zweifelnden.
Jetzt wurde ich doch neugierig. Zügig rappelte ich mich auf und lugte vorsichtig über den Dach des Randes. Da sah ich sie, die vier Männer. Jeder hatte eine Ecke einer Schlafmatte in seiner Hand und auf der Matte lag ein Mann. Er bewegte nicht einen Muskel. Ah, dann war dieser arme Mann dort unten wohl gelähmt. Und die vier Männer waren wohl Freunde von ihm, die versuchten, zu Jesus zu gelangen. Sie wollten offensichtlich, dass ihr Freund geheilt wird. Mein Blick schweifte zu den Menschenmengen, die sich vor dem Haus versammelt hatten. Ob sie das wohl wirklich schafften.
Inzwischen waren sie am Rande des Menschenauflaufes angekommen und versuchten, einen Weg ins Haus zu finden.
„Gutter Mann“, tippte der Vierte einen aus der Masse an, „Dürften wir durch? Wir wollen unseren Freund hier zu Jesus bringen.“
Der Befragte zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und drehte sich ohne mit der Wimper zu zucken wieder nach vorn. Na, das war doch wohl die Höhe. Ich zog meine Augenbrauen zusammen und in mir wuchs der Ärger, als die Männer auch bei den anderen keine Chance hatten. Keiner wollte sie durchlassen. Mutlos sanken die Schultern nach unten. Nein, nein, nein, das durfte nicht sein. Sie waren so weit gekommen. Ihre Reise durfte hier noch nicht zu Ende sein. Fieberhaft überlegte ich, was nun zu tun wäre. Aber mir fiel nichts ein. Nervös kaute ich auf meiner Lippe herum, als mir der Blick des ersten Mannes auffiel. Er schaute zur Treppe, die auf das Dach führte. Ich konnte förmlich sehen, wie ihm eine Idee in seinen Kopf schoss. Aufgeregt drehte er sich um und sagte dann voller Vorfreude:
„Seht doch, die Treppe.“
Die anderen schauten ihn verständnislos an. Da war eine Treppe. Ja, und? Das schien ihr Blick zu sagen.
„Ja, versteht ihr denn nicht? So kommen wir zu Jesus. Kommt mit, ich zeige euch einfach, was ich meine.“
Noch immer ohne einen Plan folgten die drei dem ersten Mann, der versuchte, seine Freunde zur Eile anzutreiben. Gemeinsam schoben und zogen sie die Matte mit ihrem gelähmten Freund die Treppe hinauf. Und ehe ich mich versah, standen sie vor mir. Wow, das waren vielleicht tolle Freunde. Sie gaben nicht einfach auf, sondern steckten ihre ganze Kraft in die Rettung ihres Freundes. Aber….ja, aber, was machten sie denn jetzt?
„Lasst uns das Dach abdecken. So kommen wir direkt zu Jesus und unser Freund hier wird wieder gesund.“
Eben noch völlig ahnungslos, jubelten die Freunde nun über den genialen Einfall ihres Kumpels. Ja, das könnte klappen. Nein, es musste einfach funktionieren. Und sofort legten sie los. Ihren Freund brachten sie vorsichtig an den Rand des Daches, damit ihn nicht unerwartet noch ein Stein traf. Ein Ziegel nach dem anderen verschwand. Mann, war das vielleicht ein Lärm. Wie wohl die Leute unter uns schauen mussten? Bei dem Gedanken musste ich kichern. Interessante Gesichter, die sich da vor meinem inneren Auge bildeten.
Schließlich hatten sie es geschafft. Vor ihnen klaffte ein Loch, dass groß genug war, um den gelähmten Freund an Seilen nach unten zu befördern. Zuerst sahen die Menschen im Haus erschrocken nach oben. Doch dann erblicken sie die langsam nach unten gleitende Matte, auf der ich es mir schnell ebenfalls bequem gemacht hatte, und traten nach und nach auseinander. Direkt vor Jesus glitt der Gelähmte auf seiner Schlafmatte zu Boden. Jesus sah erst zum Gelähmten und dann hinauf zum Loch, wo sich die vier Freunde triumphierend und hoffnungsvoll über den Rand beugten. Sie wussten, Jesus konnte ihren Freund heilen und Jesus kannte die Gedanken der vier Männer über ihm. Er wandte sich wieder an den Gelähmten und sagte:
„Mensch, deine Sünden sind dir vergeben.“
Hä? Deine Sünden sind dir vergeben? Was sollte denn das bedeuten? Der mann vor ihm wollte doch geheilt werden und nicht….Moment mal, jetzt hatte ich es. Jesus fand, dass es wichtiger war, die Schuld loszuwerden. Krankheit lähmt uns, wie diesen Gelähmten, aber Sünde trennt uns von ihm. Das ist weit aus schlimmer. Deshalb also vergab er diesem Mann zuerst.
Mein Blick fiel aber auf die vielen Schriftgelehrten und Pharisäer, die sich im Haus befanden. Ihre Gesichter waren ganz finster und sie stießen sich gegenseitig murmelnd an:
„Wer ist dieser Mann, dass er es wagt, Gott zu lästern? Niemand außer Gott kann Sünden vergeben.“
Sie hatten diese Worte kaum verständlich ausgesprochen. Sie waren so leise, dass kaum einer die Worte verstanden hatte. Ich aber hatte sie gehört, da ich direkt vor ihnen stand. Ja, wussten sie denn nicht, wer hier vor ihnen stand? Dieser Mann hatte nicht mit einem Wort gelästert, denn er selbst war ja Gott. Er war sein Sohn, der die Vollmacht hatte, Sünden zu vergeben.
Jesus wandte sich zu den grimmig schauenden Männern um. Er schien zu ahnen, was sie dachten, denn plötzlich sagte er:
„Was für Gedanken habt ihr in eurem Herzen?“
Volltreffer! Jesus hatte sie erwischt. Ich klatschte begeistert in die Hände. Jetzt konnten sie nichts mehr sagen. Das schien Jesus aber nicht weiter zu beeindrucken, denn er fuhr fort:
„Was ist leichter, zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben!, oder zu sagen: Steh auf und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Sohn des Menschen Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu vergeben…“
Mit diesen Worten wandte er sich an den Gelähmten, der noch immer hoffend und mit großen Augen zu Jesus blickte.
„Ich sage dir, steh auf, nimm deine Liegematte und geh heim!“
Na, ich glaube, du weißt, was nun passierte, oder? Die Augen des Gelähmten wurden ganz groß, als er seine Beine aufstellte und mithilfe seiner Arme den Körper von der Matte stemmte. Schließlich stand er sprachlos vor Jesus und sah ihn mit unendlich dankbaren Augen an. Dann rollte er seine Liegematte zusammen und ging gemeinsam mit seinen Freunden jubelnd nach Hause. Ihr Lobgesang war noch lange zu hören. Und auch die Menschen, die dabei gewesen waren, erstaunten und priesen Gott für dieses Wunder.